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Tongariro Alpine Crossing

Neunzehn Komma vier Kilometer. Acht Stunden und vierundzwanzig Minuten.

 

Es fühlte sich ein wenig wie Morgenstreich an. Die ganze Nacht nichts geschlafen vor Aufregung. In aller Herrgottsfrühe aus dem Bett, in die bereitliegenden Klamotten (Schichten wie am Morgenstreich). Im Dunkeln zum Startpunkt, loslaufen, laufen, laufen, laufen und dann den ganzen Tag Adrenalin auf höchster Stufe. Für alle, die nicht wissen, wie sich Fasnacht anfühlt. Genau so. Wie auf dem Tongariro Alpine Crossing.

 

Der Tongariro war 1887 Neuseelands erster Nationalpark und bietet mit dem Tongariro Alpine Crossing die spektakulärste Tageswanderung überhaupt. 19.4 km bergauf und bergab durch gewaltige Vulkanlandschaften, die einem den Atem rauben. Eine überirdische Erfahrung nennt mein Lonely Planet dieses Naturwunder. Kann ich absolut unterschreiben. Nicht umsonst ist diese Region Teil des Unesco Welterbe. Dieses knapp achtstündige Monster habe ich also in Angriff genommen. Den Tongariro Alpine Crossing. Die Wanderung meines Lebens.

 

Der Transferbus zum Startpunkt bei der Mangatepopo Road (1120 m) holte mich um 05.10 Uhr vor dem Hotel ab (im lokalen Tourismusbüro einen Tag vorher gebucht. Früher kann man gar nicht, weil die Wettervorhersagen abgewartet werden müssen). Um 07.13 Uhr lief ich dort mit meinen geliehenen Wanderschuhen (diesen Service bietet der Veranstalter an) bei Nebel los. Die Wettervorhersagen waren sehr gut. Also machte ich mir um das "Gschlirgg" keine Sorgen. Und siehe da, kurz vor neuen gewann die Sonne und verliess uns Wanderer den ganzen Tag nicht mehr.

 

Jetzt kam der erste harte Aufstieg, von den Soda Springs zum South Crater. Ich bin ja nicht die ungeübteste Wanderin. Aber was für ein Sauhund! Ich muss dazu noch sagen, dass mein Rucksack viel zu schwer war. Das bereitete mir Mühe. Ich hatte so viel Food und zusätzliche Schichten Kleider dabei. Ich hätte drei Tage in der Wildnis überleben können. Völlig übertrieben. 🤣 Aber im Touristenbüro und in allen Broschüren herrscht dermassen eine Panikmache* von wegen genügend Wasser, Verpflegung und warme Klamotten, die man dabei haben muss. Als Schweizerin weiss ich ja wie unberechenbar die Berge sind. Ich habe das ein wenig zu ernstgenommen. Ich sage nur vier Liter Wasser für eine Person. Leicht übertrieben.

 

[*Gut, wenn man sieht, wie gewisse Touristen, diese wirklich harte und manchmal nicht ungefährliche Bergtour in Angriff nehmen. Ich verweise dazu gerne nochmals auf meine Erkenntnis des Tages vor einiger Zeit bezüglich unterschiedlichem Verständnis von gutem Schuhwerk. Ich sage nur Turnschuhe und Jeans / T-Shirt und Shorts bei Temperaturen gegen 5 Grad und stürmischen Winden. Ich komme aus dem Schütteln meines Kappen bedeckten Kopfes nicht raus.]

 

Die Wanderung ist so angelegt, dass es insgesamt acht Checkpoints gibt mit Zeit- und Schwierigkeitsangaben vom einen zum anderen. So weiss man vorneweg, was einen erwartet. Spätestens am Checkpoint Nr. 3 im South Crater muss man entscheiden, ob das Wetter gut genug ist, um weiterzulaufen. Wenn man dort vorbei ist: Point of no return. Dann muss man's durchziehen. Diese Frage stellte sich am heutigen prachtvollen Tag gar nicht. Also weiter. Ich weiss nicht, ob es etwas Spektakuläreres gibt, als im (sichtbaren) Krater eines erloschenen Vulkans zwischen ausgespucktem Geröll und vuklanischem Sand zu laufen. Ich kann es kaum beschreiben. Einfach crazy. Der absolute füdliblutte Wahnsinn!

 

Kurz vor 11 Uhr habe ich's auf den höchsten Punkt geschafft. Den Red Crater 1886 m. Die Aussicht: unbeschreiblich. Links der Mount Tongariro (1967 m), rechts der Mount Ngauruhoe (2287 m). Für Schweizer Verhältnisse sind das ja kleine Hügel. Dennoch schiere Giganten, wenn man zu ihnen rüber blickt. Ein kurzer Mittagessenhalt und dann der Abstieg zu den Emerald Lakes und weiter zum Blue Lake  (beides Thermalquellen und weil den Maori heilig, nicht zu betreten). Dieser Abstieg zu den Emerald Lakes hat's in sich. Eigentlich ist es nur eine Geröllhalde, die man runterrutscht. Ziemlich steil und schwierig zu meistern (Gottseidank hatte ich Wanderschuhe an). Nach den ersten paar Metern habe ich mich meiner Skifahrtechnik erinnert, wenn ich mal auf einer schwarzen Piste lande. Einfach seitwärts runterrutschen. So ging das ziemlich gut und schnell.

 

Bis zum Blue Lake stieg es nochmals etwas an. Mit der Übung hatte ich aber nun weniger Mühe damit. Danach ging's eigentlich drei Stunden nur noch bergab. Jetzt spürte ich, dass ich müde wurde und die bergab Lauferei ging saumässig in die Knie und die Schienbeine (meine Knochenhautentzündung lässt grüssen). Ausserdem hatte es so viele Leute auf dem Track, dass ich teilweise richtig anstehen musste, bevor ich überholen konnte. So stelle ich mir die Mount Everest Besteigung vor. Ewas lästig. Um 15.37 Uhr nach acht Stunden und vierundzwanzig Minuten hatte ich es geschafft und kam auf dem Parkplatz an, wo der Transferbus schon wartete.


Nebenbei gesagt

Tatsächlich stehen auf diesen 19.4 km acht Toilettenanlagen zur Verfügung (ich habe fast alle von innen gesehen). Es gibt im vulkanischen Gebiet keine Bäume hinter denen man seine Notdurft verrichten könnte. Logsicherweise sind das ganz einfach Einrichtungen ohne Spülung und regelmässiger Wartung. Mehr oder weniger "Bängelschiessene". Es wird überall darauf hingewiesen, dass man WC-Papier selber mitbringen muss. Macht für mich völlig Sinn. Da fliegt nicht täglich zweimal ein Helikopter rauf, um die Toiletten in Schuss zu halten. Aber ja! Es gibt Touristen, die das mit völliger Konsternation zur Kenntnis nehmen und mich fragen, ob sie ein wenig Papier von mir schnorren dürfen. Sie hätten das nicht gewusst und keines dabei.

I C H   F A S S E   E S   E I N F A C H   N I C H T !!!!


Ankündigung

Morgen ist Sendepause. Ich transferiere lediglich sechs Stunden von Taupo nach Wellington und gönne mir deshalb einen schreibfreien Tag.


Grüsse des Tages

Aus Zeitgründen heue mal keine Grüsse


Anmerkung zu Manfred‘s Kommentar

Aus Zeitgründen heute mal keine Anmerkungen.


Erkenntnisse des Tages

  • Ich bin doch nicht so untrainiert. Ausser meiner blöden Knochenhautentzündung an den Schienbeinen spüre ich nicht viel.
  • So schön es am Meer und am Strand war... I am a mountain girl!

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Kommentare: 4
  • #1

    Papi (Freitag, 07 Februar 2020 00:19)

    Ja, da kannst Du stolz sein. Fast 20 km in einem solchen Gelände sind schon eine tolle Leistung.
    Wir müssten wohl zwei Mal übernachten...
    Liebe Grüsse MaPi

  • #2

    Mami (Freitag, 07 Februar 2020 00:28)

    Du bisch jo wahnsinnig. Das hät ich nie gschafft, au in jüngere Johre nid. Gratuliere!!
    Hihi, das mit de Toilette chunnt mir bekannt vor. In Island hets au keini Bäum und mir arme Fraue hän immer müesse e grosse Stei sueche oder zwüsche de zwei Autotöre es Bisi mache. Ich wünsch gueti Erholig. Küssli Mami

  • #3

    Kiwihanni (Freitag, 07 Februar 2020 14:30)

    ach da gibts doch auch ne seilbahn??? wo ich dört gsi bi(übrigens scho 2x, ha ich ihn gseeh eimol vor und nochem usbruch. jedoch bi i nie sooo wiit gwanderet wie du��huet ab! aber dini bilder und tegschtzeige jo das es super gsi isch♥️wiiter gnüsse kiwihanni

  • #4

    Manfred (Samstag, 08 Februar 2020 00:39)

    Hei Astrid
    tolle Leistung! Respekt! Wahrscheinlich wirst Du deine Muskeln vor allem ab heute bewusst wahrnehmen (Muskelkater usw.). Ich kenne dies, wie auch das Glücksgefühl auf dem Gipfel und schlussendlich das Gefühl nach absolvierter Tour. Einfach unbeschreiblich!

    Das erste Foto scheint den Eingang zum Pfad der Nibelungen, oder doch zum grossen Wald in Mittelerde, dem Fangorn, welcher sich von Eriador bis nach Beleriand erstreckt, zu zeigen...?
    Jedenfalls kann ich sehen, dass Du dich auf dem zweiten Bild eindeutig südlich von Emyn Muil in Nindalf, dem grossen Sumpfgebiet von Mittelerde befindest. Hoffentlich hast Du nicht zu lange in die Pfützen und in die Gesichter der Toten Geister geschaut. Frodo wäre dabei auch fast gestorben! Er hatte aber Sam und Gollum dabei die auf ihn aufpassten! (Na ja, Zweitgenannter auch nur infolge eigennütziger Absichten, wie Krähen manchmal übrigens auch hihihi!)
    Zu guter Letzt kann ich anhand der kargen Vegetation erkennen, dass Du dich im Schattengebirge Ephel Dúath, zur Westgrenze von Mordor, über den Cirith Ungol Pass, oberhalb von Minas Morgul begeben hast. Gefährlich gefährlich sag ich Dir! Wenn Du dort weiter wanderst, pass bloss auf, dass dich nicht die Spinne Shelob oder die Orks erwischen. Beide haben es mit Vorliebe auf ihre Leibspeise, süsse, appetitliche Libellen - wie auf Bild acht zu sehen - abgesehen. Hihihi, Gollum, gollum gollum!
    Für alle die, die nur Bahnhof verstehen, lest die Bücher Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien, oder seht euch die gleichnamige Filmtrilogie zu selbigem Titel an und ihr werded weise sein und verstehen, genau wie Gandalf der Graue.

    Abschliessend wünsche ich Dir von ganzem Herzen, dass Du die vorher beschriebenen Gefahren überstehst und deinen Ruhetag mit Transfer geniessen und dich ausruhen kannst.

    Elfische Grüsse - Atra Esterní ono thelduin, Mor’ranr lífa unin Hjarta onr, un du Evarínya ono varda!

    Dein Leseschaf!